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Neue Westfälische , 05.02.2024 :

Das wurde aus den Corona-Demos in OWL

Die Themen der Demonstranten haben sich geändert und neue Bündnisse sind entstanden / Doch der Pakt mit Rechtsextremen ist geblieben / Ein Report

Lukas Brekenkamp

Bielefeld. Die Mütze sitzt tief im Gesicht, die Winterjacke ist bis oben geschlossen. Die Kälte vor der Kaserne in Paderborn-Sennelager macht sich bemerkbar. Gerd U. trotzt den eisigen Temperaturen, vor ihm auf dem Bürgersteig stehen zwei Plakate. "Bauern ernähren uns alle" steht in großen Lettern auf dem weißen Schild. "Die Regierung ruiniert uns alle" auf dem anderen.

Gerd U. hat einige Mitstreiter dabei. Es waren schon mal mehr. Regelmäßig organisiert er Schilder-Demos wie diese vor den Paderborner Kasernen. Früher richteten sich die Plakate gegen die Corona-Maßnahmen. Später drehten sie sich um den Ukraine-Krieg. Heute ist es eine bunte Mischung an Themen. Hauptsache gegen die Regierung.

U. ist den Behörden gut bekannt - als Rechtsextremist und Teil der völkischen Szene in Lippe. Als erste Nachrichtendienste Anfang 2020 warnten, Rechtsextreme und Reichsbürger beteiligten sich an den aufkommenden Corona-Demonstrationen, war U. bereits dabei. Zum Beispiel in Bielefeld, wo er auch jetzt noch regelmäßig in Gesellschaft von Familienmitgliedern mitdemonstriert.

In OWL reiste zeitweise eine vierstellige Zahl von Teilnehmern zu den Corona-Demos an. Der Verfassungsschutz in NRW schätzt: Jeder zehnte Teilnehmer war rechtsextrem oder Reichsbürger. Protagonisten der Szene, die fortan als "Staatsdelegitimierer" bezeichnet werden, stehen weiterhin unter Beobachtung, in NRW immerhin 50 bis 100 Personen. Der Verfassungsschutz warnt vor "zahlreichen Kleinstgruppen". Sie organisieren sich zumeist in Telegram-Gruppen, oft kursieren dort rechtsextreme Inhalte: "Immer wieder ergeben sich Anhaltspunkte für die Gewaltbereitschaft, die in der Szene vorherrscht."

Mittlerweile sind die Demonstrationen aus der "Staatsdelegitimierer"-Szene kleiner geworden. Die Politik hat die Corona-Maßnahmen längst beendet. Mit anderen Themen wie dem Ukraine-Krieg oder der Energiekrise konnte die Szene "nicht so weit in die Mitte der Gesellschaft eindringen", urteilt eine Sprecherin des NRW-Innenministeriums. Die Folge: Nur der "harte Kern" ist geblieben, sagen Verfassungsschützer aus NRW - "gefestigt in der staatsfeindlichen Ideologie". Gerd U. demonstriert noch immer.

Betroffen sind vor allem größere Städte. Die Mobile Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus (MBR) beobachtet in OWL in den vergangenen Jahren eine Mobilisierung der Szene vor allem in Bielefeld, Paderborn und Detmold. "Dabei gibt es keine Berührungsängste zwischen der "bürgerlichen Mitte" mit extrem rechten Personen oder Gruppen", heißt es.

Insgesamt sei die Szene gut vernetzt. "Zwischen den Gruppen in Paderborn und Bielefeld gibt es gegenseitige Unterstützung, zentrale Rollen spielen immer wieder dieselben Personen", sagt ein MBR-Mitarbeiter. Mit neuen Themen versuchten sie auf das deutlich gesunkene Mobilisierungspotenzial zu reagieren. Zuletzt seien die Bielefelder und Paderborner Gruppen auf den Protestzug der Bauern aufgesprungen.

Mit "Aktivist Mann" aus Espelkamp und Tim K. aus dem Kreis Lippe kommen auch überregional bekannte "Szene-Influencer" aus OWL. Beide sind den Sicherheitsbehörden bestens bekannt. "Aktivist Mann" berichtet regelmäßig von "Besuch" durch den Staatsschutz der Bielefelder Polizei. Nach Einschätzung der MBR spielen auch die Ostwestfalen Andre J. und Sven S. "überregional eine gewisse Rolle". Sie seien die Köpfe der Protestgruppe "Bielefeld steht auf", moderierten aber auch bundesweit Demonstrationen.

"Bemerkenswert" findet der NRW-Verfassungsschutz mit Blick auf OWL die "regelmäßige Teilnahme eines Rechtsextremisten aus dem völkischen Spektrum" an Demos von "Bielefeld steht auf". Einen Namen nennt der Nachrichtendienst nicht, U. dürfte jedoch gemeint sein. Auch in einem Verfassungsschutzbericht wird er mit seinen Schilder-Demos offenbar erwähnt.

Diese Redaktion hat U. bereits vor knapp einem Jahr bei einer seiner Demonstrationen vor der Paderborner Kaserne aufgesucht. Er zeigte sich gesprächig und betonte, er wolle seinen Unmut öffentlich machen. Jeder solle sich sein eigenes Bild von den Demos machen. Dass die Behörden den Anmelder als Rechtsextremisten führen? Dazu möchte U. nichts sagen.

Neben ihm ist dieser Redaktion eine zweistellige Zahl an Personen aus der rechtsextremen Szene oder dem Reichsbürger-Milieu bekannt, die sich an den Protesten der "Staatsdelegitimierer"-Szene beteiligten. Die MBR weist zudem daraufhin, dass die AfD bei den Protesten in der Region teilweise durchaus eine Rolle spiele. Mal durch Gastreden, mal durch mehr. Beispiele hierfür gebe es neben Bielefeld auch in den Kreisen Minden-Lübbecke, Paderborn und Höxter.

Mitte 2020 organisierte die Partei eine Mahnwache in Bad Driburg. Ein paar Teilnehmer waren gekommen, wie ein Foto zeigt, das eine linke Gruppierung im Netz verbreitet hat. Auch auf dem Foto: Gerd U. In seiner Hand ein weißes Schild - damals nur noch deutlich kleiner als heute.

Bildunterschrift: Seit 2020 demonstrierten Menschen gegen die Corona-Maßnahmen, wie hier 2021 in Bielefeld. Doch mit dem Wegfall der politischen Corona-Maßnahmen hat sich die Szene gewandelt.

Bildunterschrift: Szene-Influencer Tim K. (Mitte), Andre J. (l.) und Sven S. (r.) von "Bielefeld steht auf" auf einer Bühne in Detmold.

Bildunterschrift: Mit Schildern wie diesen demonstrieren wöchentlich ein gutes Dutzend Personen in Detmold.

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Am 5. Februar 2024 schrieb die "Neue Westfälische" in einen Report, Lukas Brekenkamp: "Das wurde aus den Corona-Demos in OWL" - darüber, was aus den Corona-Protesten in Ostwestfalen-Lippe geworden ist.

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www.mbr-owl.de


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